Roth – 2003 war der Stadtpark in Roth der Schauplatz der Landesgartenschau. Zu den Besuchern zählte damals auch die Familie von Matthias Müller, die ihren Sommerurlaub in unserer Region verbrachte. Die Gäste aus dem baden-württembergischen Mosbach in der Nähe von Heilbronn staunten aber nicht nur über die Blumenpracht, sie stolperten quasi auch mitten hinein in eine sportliche Großveranstaltung: Den Challenge-Triathlon.
Obwohl Matthias Müller bereits zu diesem Zeitpunkt aktiver Läufer war, kam er angesichts der Kombination mit Radfahren und Schwimmen und wegen der Matthias Müller aus dem baden-württembergischen Mosbach hat seit 2010 keinen Challenge ausgelassen zu absolvierenden Distanzen zu dem Schluss: „Lauter Verrückte.“ Im Rückblick auf diesen Kontakt mit dem Triathlon sagt Müller: „Der Kein war gepflanzt“. Und er bezieht sich damit nicht auf die Landesgartenschau, sondern auf seine ganz besondere Geschichte mit diesem besonderen Sport.
„Ich war fasziniert von den sportlichen Leistungen und der Atmosphäre rund um diese Veranstaltung“, erzählt der heute 55-Jährige. Und da für ihn der Sport als Ausgleich zum alltäglichen Stress schon immer wichtig war, dachte der damalige Marathonläufer im Jahr 2006 um – und an die Erlebnisse in Roth aus dem Jahr 2003 zurück. „Ein Mal kannst du so eine Langdistanz ja machen“, sagte er sich und begann 2007 mit dem Triathlon. „Es hat Spaß gemacht“, erzählt Müller, der zunächst zwei Mal die Langdistanz beim Ironman in Frankfurt bewältigte. 2010 ging er dann erstmals in Rothanden Start – und dieses Rennen sollte ihn bis heute nicht mehr loslassen. Am kommenden Sonntag wird sich Matthias Müller schon zum elften Mal in den Main-Donau-Kanal stürzen.
Warum der Triathlet mit dem deutschen Allerweltsnamen jedoch ein ganz besonderer Triathlet ist, hat mit seiner Krankheitsgeschichte zu tun: Seit dem Jahr 2013 bewältigt Matthias Müller die sportlichen Höchstleistungen mit der Diagnose Multiple Sklerose. Jener heimtückischen und unheilbaren Erkrankung also, die das zentrale Nervensystem des menschlichen Körpers befällt und die damit Gehirn und Rückenmark betreffen kann.
Dem Familienvater zog es nach der Diagnos erst einmal den Boden unter den Füßen weg, den dringend nötigen Hoffnungsschimmer erblickte er jedoch über den Sport. In einem Triathlon-Forum lernte er eine Frau kennen, die ebenfalls von der Diagnose MS überfallen wurde, die aber weiterhin Triathlon macht.
Matthias Müller formulierte es einige Jahre nach seinem Schicksalsschlag in einem Interview so: „Ich sehe die MS nicht als einen zu bekämpfenden Bösewicht, sondern betrachte sie als lebenslange Schicksalsgemeinschaft, als einen Teil von mir. Sie hat es mit mir querdenkenden Sportverliebten auch nicht leicht. Machen wir das Beste daraus.“
„Ich sehe die MS nicht als einen zu bekämpfenden Bösewicht, sondern betrachte sie als lebenslange Schicksalsgemeinschaft, als einen Teil von mir.“
Matthias Müller
Die MS beginnt bei einem Großteil der Betroffenen in Schüben, die unregelmäßig auftreten und auch unterschiedliche Auswirkungen haben können. „Ich habe das Glück gehabt, dass meine Entzündungsherde an der richtigen Stelle sitzen“, sagt Matthias Müller, der von relativ wenigen Einschränkungen spricht. Verkrampfung, verzögerte Reflexe, ein gestörtes Gleichgewicht, zählt er beispielsweise auf. Und er bekam keine neuen Schübe.
Die MS nehme ganz individuelle Verläufe, erklärt Müller und betont, jeder Patient müsse seinen Umgang damit finden. Sein Weg:„Stress rausnehmen, eine angepasste Ernährung und viel Bewegung und Sport, aber alles ohne Druck.“ Weshalb er auch weitermachte mit dem Triathlon und sogar ein Buch über sein sportliches Leben als MS-Patient geschrieben hat. Der Titel: „Das Leben ist zu kurz für Beinschlagtraining“.
Inzwischen hat er in Roth mehr Langdistanzen mit MS absolviert (7) als ohne (3). Als der Challenge 2020 pandemiebedingt nicht stattfinden durfte, wollte Matthias Müller auf seinen „Jungbrunnen“, wie er das Rennen bezeichnet, nicht gänzlich verzichten. „Anlässlich einer Charity-Aktion habe ich einen Corona-angepassten Roth-Ersatz mit zehn Kilometern Rudern statt Schwimmen, 180 Kilometern mit dem Mountainbike und einem abschließenden Marathon am Neckar entlang organisiert.“
In diesem Jahr konnte er wegen gesundheitlicher Probleme und „Seitenhieben der MS“ (O-Ton Müller) erst im März mit dem Training beginnen. Sicherheitshalber will er den Challenge heuer auch mit einem Fitnessbike mit geradem Lenker und ohne Klickpedale absolvieren. Denn beim Radfahren offenbaren sich für Müller in den Kurven, bei Seitenwind oder bei Überholmanövern wegen des gestörten Gleichgewichtssinns die größten Probleme. „So bin ich zwar viel langsamer, aber mein Spruch ‘Wer nicht schnell kann, sollte lange wollen‘, gilt weiterhin.“
Auch beim Laufen nimmt Müller diverse „Wander-Etappen“, wie er sie nennt, in Kauf. Denn seine Krankheit beschere ihm die ungeliebte Angewohnheit, dass er beim Joggen mit dem rechten Fuß leicht „aufpatsche“, was auf Dauer den gesamten Bewegungsapparat in Mitleidenschaft ziehe. Über ein Erlebnis kann er diesbezüglich heute schmunzeln: „Beim Joggen hat mich mal einer angesprochen und gemeint: Du läufst aber komisch. Ich habe mir nur gedacht, wenn du wüsstest…“ HK, Mathias Hochreuther